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rheinische Post 4./5. Oktober 2025

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Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung „Eigentlich müsste es Sex auf Rezept geben“ siehe unten
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Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung „Eigentlich müsste es Sex auf Rezept geben“
Düsseldorf/Bensberg · Für Susi spielen Männer und Intimität lange Zeit keine Rolle – auch wegen ihrer Behinderung. Bis sie auf Thomas trifft, einen Sexualbegleiter.
19.09.2025 , 11:47 Uhr
Von Viktoria Pehlke
Wenn Thomas zu Besuch kommt, stellt Susi* (*Name geändert) den kleinen Heizofen ins Schlafzimmer. Sie spannt ein frisches Laken über die Matratze. Manchmal schlüpft sie auch in hübsche Unterwäsche, schwarze Dessous mit Riemen und Bändern. Das hätte sie sich früher nie getraut – doch in Susis Leben hat sich durch Thomas eben vieles verändert.
Susi lebt in einer großen Wohnung in Bensberg. Hier kann sich die 65-Jährige in ihrem Rollstuhl frei bewegen, auch auf die Balkone schafft sie es mit ein wenig Anlauf ohne Hilfe. An einem Samstag im Sommer sitzt Susi an ihrem Esstisch, vor sich eine Tasse Kaffee. Mit leuchtenden Augen erzählt sie, wie sie Thomas vor zwei Jahren zum ersten Mal in der Zeitung sah. Den Artikel hat sie bis heute aufbewahrt, feinsäuberlich zusammengefaltet steckt er in einer Klarsichthülle. Sie breitet den Ausschnitt auf ihrem Esstisch aus. „Begleiter für intime Stunden“, steht in schwarzen Lettern auf der Seite. Darüber ein Foto von einem Mann auf einem Bett, eng umschlungen mit einer jungen Frau. Thomas, der Mann mit den langen grauen Locken, ist Sexualbegleiter für Menschen mit Behinderung. Er gibt körperliche Nähe und wird dafür von seinen Klientinnen bezahlt. „Ach, das wär‘ doch was“, habe sich Susi damals gedacht, und Thomas eine E-Mail geschrieben.
INFO Wie wird man Sexualbegleiter?
Sexarbeit Grundsätzlich ist die Berufsbezeichnung „Sexualbegleiter“ nicht geschützt. Dennoch müssen Anbieter von Sexualbegleitung laut Prostitutionsgesetz ihre Arbeit anmelden, da sie zur Sexarbeit gehört.
Ausbildung Wie auch Thomas haben viele Sexualbegleiter eine Ausbildung am Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter (ISBB) im niedersächsischen Trebel absolviert. Seit 2022 ist das Institut jedoch geschlossen. Die Sexualbegleiterin „Pamina“ aus Eberswalde will die Arbeit des ISBB fortführen. Wie genau, ist aber offen. Wie viele Menschen in Deutschland als Sexualbegleiter tätig sind, ist nicht bekannt.
Für Männer war in Susis Leben bisher kaum Platz gewesen. Als junge Frau wurde sie Kindergärtnerin. Sie zog von Köln nach Berlin, erkundete das Nachtleben der Hauptstadt und führte die eine oder andere kurze Beziehung. Da spielte Sex schon eine Rolle, aber eben keine große. Mit Anfang 40 hatte Susi dann einen Unfall im Kindergarten. Es gab Komplikationen, sie verlor ihr Bein. „Jemanden kennenzulernen, war irgendwie überhaupt nicht drin“, erzählt sie. Heute verbringt Susi die meiste Zeit mit ihrer Schwester in ihrer Wohnung oder in dem Haus im Grünen, in das sie an den Wochenenden fahren. Susi liebt die Blumen auf ihrem Balkon, sie blühen in diesem Sommer pink und lilafarben. Dieses Leben mit einem Mann zu teilen, kann sich Susi nicht mehr vorstellen.
„Ich habe geschrieben, dass es das i-Tüpfelchen in meinem Leben wäre, diese Nähe zu haben“, erzählt Susi von ihrer ersten Kontaktaufnahme mit Thomas. Sie habe auch ein Foto mitgeschickt. „Ich dachte, dann sieht er gleich, dass ich dicker bin.“ Doch Thomas störte sich weder an Susis Figur, noch an ihrem Handicap. Er sagte Susi ein Treffen zu, wenn auch erst in ein paar Wochen, wenn er von einer Reise aus den USA zurückkehrte. Bis dahin schrieben sie sich kurze Nachrichten. Über Susis Erwartungen, ihre Wünsche und Fantasien. Eine Ausnahme – denn eigentlich pflegt Thomas außerhalb der Treffen keinen Kontakt zu seinen Klientinnen.
Als Susi Thomas zum ersten Mal traf, war sie unsicher. Doch das hat sich geändert.
„Susi hat in dieser Zeit förmlich geschwebt“, erinnert sich ihre Schwester mit einem breiten Grinsen. Susi habe sich ein paar Kopfhörer gekauft und den ganzen Tag Musik gehört. Hits aus den Achtzigern, auf voller Lautstärke. Als ihr irgendwann die Ohren wehtaten, mussten die Kopfhörer weg. Aber die Vorfreude blieb, auf ihr erstes Treffen mit Thomas. Denn da war auf einmal jemand, dem Susi ihre Fantasien anvertrauen konnte, der sagte: Das können wir wahr werden lassen.
Dann kaufte Susi noch den kleinen Heizofen. Damit es im Schlafzimmer schön warm ist, das hatte sie in einem Buch über Tantramassage gelesen. Susi stellte Kerzen und Blumen auf und legte eine Decke bereit. „Ich dachte, die könnte ich mir schnell über den Bauch legen, wenn ich den verstecken möchte“, sagt sie. Als Thomas an der Tür klingelte, war Susi nervös. Sie zeigte ihm die ganze Wohnung und bot ihm eine Tasse Kaffee an. Bis er irgendwann sagte: „Sollen wir dann mal?“
Wenn Thomas Aeffner zu seinen Klientinnen nach Hause kommt, bringt er ein kleines Köfferchen mit. Darin verstaut er Kondome und Lecktücher, für alle Fälle auch Viagra. In der Regel, sagt Thomas, brauche er das Hilfsmittel aber nicht. Der 71-Jährige macht seit über zehn Jahren Körperarbeit. Angefangen hat er als Tantramasseur, später ließ er sich zum Sexualbegleiter fortbilden. „Sexualbegleitung hat eine pädagogische Wirkung. Wir wollen unsere Klientinnen bei der Emanzipation unterstützen. Das kann bei der klassischen Sexarbeit vorkommen, muss aber nicht.“ Mit diesem Beruf hat Thomas sein altes Leben als freischaffender Künstler hinter sich gelassen – und eine Berufung gefunden. „Ich kann im Leben meiner Klientinnen so viel Positives bewirken, das erfüllt mich“, sagt er. Sexualität sieht Thomas als menschliches Grundbedürfnis, das auch Menschen mit Behinderung nicht verwehrt werden sollte. Er erlebe häufig, wie das Selbstbild seiner Klientinnen sich über die Zeit verbessert. Das hat er auch in Susi bemerkt.
Nach ihrem ersten Treffen hat Susi gleich Termine für das ganze Jahr mit Thomas vereinbart. 100 Euro berechnet er für eine Stunde Intimität, plus die Kosten für die Anfahrt. Susi leistet sich das meist einmal im Monat. „Eigentlich müsste es Sex auf Rezept geben, das der Arzt verschreibt“, sagt sie, „immerhin haben Orgasmen auch gesundheitliche Vorteile: Bei Menschen mit spastischen Lähmungen entspannen sie beispielsweise die Muskulatur.“ Doch die Krankenkasse übernimmt die Kosten für die Sexualbegleitung nicht. Und Susi verzichtet lieber auf andere Ausgaben, als auf die Zeit mit Thomas. Ihr Haushaltsplan verfolgt ein klares Konzept: „Meine Blumen sind mir wichtig – und dieser Mann ist mir wichtig“, sagt sie und lacht.
Die Stunden mit Thomas hätten sie selbstbewusster gemacht, sagt Susi. „Mittlerweile habe ich überhaupt keine Hemmungen mehr, nackig dazuliegen.“ Die Sorge, ob ihr Bauch zu dick sei, sei verflogen, als Thomas anfing, ihn zart zu streicheln. Und wenn Susi sich selbst als „die Dicke“ bezeichnet, ermahnt Thomas sie: Es sei nicht in Ordnung, wie sie über sich selbst spreche. Mit Thomas könne man sich ganz wunderbar unterhalten, findet Susi. Über die Natur oder über Kunst. Sie hat auch schon Kummer mit ihm geteilt, er hat sie dann im Arm gehalten und sie getröstet. Trotz allem, was die beiden in den Stunden miteinander verbindet: Liebe ist das nicht.
Es sei von Anfang an klar gewesen, dass Thomas Dienstleister ist und Susi Klientin, sagen beide. Susi bezahlt Thomas in bar, damit sie vor Augen hat, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. So hält es Thomas mit allen Klientinnen. Es gibt auch keine Textnachrichten zwischendurch, kein „Ich denke an dich“ und keine Einladungen zu Familienfesten. Liebe sei nicht käuflich, sagt Susi, körperliche Nähe aber eben schon. Einen Mann anzufassen, die Haut einer anderen Person auf der eigenen Haut zu spüren. Den Körper dieses Menschen zu erkunden und neue sexuelle Erfahrungen zu machen. All das kann Susi durch Thomas erleben.
Einmal hat Thomas Susi gemalt und ihr das Bild geschenkt. In hellen, warmen Tönen hat er den Umriss ihres nackten Körpers von einem Foto abgezeichnet. Susis kurzes Haar wellt sich darauf um ihr Gesicht, sie lächelt zaghaft. Da ist keine Scham in ihrem Blick, für ihren Bauch oder den Stumpf ihres rechten Beins. Früher, sagt Susi, hätte sie das Bild vielleicht in den Schrank gelegt. Heute aber steht es im Regal ihres Schlafzimmers. Dort sieht sie es jeden Tag. „Hätte ich gewusst, wie schön das alles ist, hätte ich es schon viel früher gemacht“, sagt sie.
Westdeutsche Allgemeine Zeitung - Essen

Westdeutsche Allgemeine Zeitung - Essen online
In der online Ausgabe der WAZ-Essen ist gerade dieser Artikel über meine Arbeit erschienen.
So findet ein Lehrer in Essen Erfüllung als Sexualbegleiter
06.07.2025, 06:03 Uhr • Lesezeit: 7 Minuten
Von Elli Schulz
Redakteurin Lokal
Essen.
Thomas Aeffner (71) hat sich zum Tantra-Masseur ausbilden lassen. Heute hat er als Sexualbegleiter Sex gegen Geld mit Menschen, die nur schwer Sexualpartner finden.
Thomas Aeffner war erfolgreicher Maler und Grafiker, konnte von seiner Kunst leben. „Damals dachte ich, ich hätte den tollsten Beruf der Welt“, blickt der 71-Jährige zurück. Doch der Job, der ihn am meisten erfüllt, sollte noch kommen. In einem Alter, in dem andere an den Ruhestand denken, ließ sich Aeffner zum Tantra-Masseur und Sexualbegleiter ausbilden. Sein Geld verdient er heute als Sexarbeiter, wobei bei ihm nach eigener Einschätzung der Fokus auf der Persönlichkeitsentwicklung der Klientinnen liegt.
Der Sexualbegleiter hat in Essen Kunst und Germanistik studiert
Für ihn stehe liebevolle Berührung im Mittelpunkt, ohne dass er die professionelle Distanz verliere. „Es geht um Achtsamkeit, nicht um romantische Liebe. Ich verliebe mich nicht in meine Klientinnen. Dennoch ist Sexualbegleitung mehr als der reine, körperliche Akt“, betont er den spirituellen Hintergrund, der gerade bei der Tantra-Massage eine wichtige Bedeutung habe. Tantra sei eine Lebenseinstellung, und er sehe in jedem Menschen „die Manifestation des Göttlichen“.
Er nehme Menschen so an, wie sie sind, mit allen Spuren des Lebens, mit körperlichen Eigenheiten, die vielleicht nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprächen, begegne ihnen mit Respekt. „Meine Klientinnen sollen sich, ihren Körper und ihre Bedürfnisse kennenlernen und annehmen. Ich möchte ihr Selbstbewusstsein stärken“, sagt er.
Wenn Thomas Aeffner über seinen ungewöhnlichen Job spricht, spürt man seine Leidenschaft für seine Arbeit. „Das ist für mich kein Beruf, das ist Berufung“, sagt er. Aeffner grenzt sich bewusst von Sexarbeitern ab, die Frauen als Callboy buchen: „Ich begleite nicht ins Theater, Restaurant oder zum Tanzen, um danach dann Sex zu haben“, erklärt er, will das aber keinesfalls als Wertung verstanden sehen, denn alle Arten der Sexarbeit hätten ihre Berechtigung. Der 71-Jährige sieht seinen Schwerpunkt in der sexuellen Begleitung von alten, behinderten oder durch Missbrauchserfahrung traumatisierten Menschen.
Alte Menschen erfahren Berührungen oft nur im Pflegezusammenhang
„Ich habe zum Beispiel Sex mit Frauen, die vor dem Lebensende noch einmal Sex genießen wollen. Oder auch im Alter überhaupt zum ersten Mal Geschlechtsverkehr erleben wollen.“ Dass alte Menschen Berührungen oft nur noch im Pflegezusammenhang erfahren, findet Aeffner erschreckend.
Der Sexualbegleiter erlebt oft Berührendes, nicht nur mit Menschen in der letzten Lebensphase. So berichtet er von einer Frau, die als Zehnjährige vergewaltigt wurde, danach ihren weiblichen Körper hasste und keine Beziehung eingehen konnte. Er habe sie nur einmal getroffen und mit ihr vorsichtig ihren Körper und dessen Lust erkundet: „Sie hat sich später gemeldet, dass sie mich nicht mehr buche, weil es nicht mehr nötig sei: Sie habe einen Partner gefunden, lebe jetzt in einer glücklichen Beziehung.“ Für Aeffner das größte Kompliment, das er sich vorstellen könne. Es erfülle ihn mit Stolz und Demut.
Thomas Aeffner hat seine Ausbildung an einem Essener Institut absolviert
Bedarf an Sexualbegleitung gebe es auch in einem anderen Bereich: Menschen mit Behinderung hätten es oft schwer, körperliche Bedürfnisse auszuleben. Manchmal sei es auch ihr Umfeld, das sie einschränke. Wie bei einem jungen Mann, dem die Eltern eingeschärft hätten, niemals allein mit einer Frau in einem Raum zu sein – wohl aus Angst, er könne übergriffig werden oder genau das könne ihm vorgeworfen werden, auch wenn gar nichts passiert sei. „Eine Kollegin hat ihm behutsam gezeigt, dass es gar nicht schlimm ist, mit einer Frau allein zu sein.“ Das sei der erste Schritt gewesen, dass er partnerschaftliche sexuelle Beziehungen habe eingehen können.
Zur Sexarbeit ist Thomas Aeffner erst spät gekommen. Eigentlich hat er in Essen Kunst und Germanistik auf Lehramt studiert, hörte damit auf den Rat seiner Eltern, „etwas Sicheres zu erlernen“. „Damals wusste ich schon, dass ich von der Kunst leben könnte, was mir eine gewisse Freiheit gegeben hat“, blickt er zurück. Die Hoffnung, das künstlerische Schaffen gut mit dem Lehrerberuf verbinden zu können, erfüllte sich nicht. Nach einem halben Jahr im Schuldienst entschied er sich für die Kunst und einen alternativen Lebensstil.
Mit seiner damaligen Frau, ebenfalls Künstlerin, zog er auf einen alten Hof am Niederrhein, richtete dort Ateliers ein und stellte in aller Welt aus. Ein Burnout änderte alles: Er ließ sich scheiden und zog auf einen Naturisten-Campingplatz, wo Nacktsein zum Alltag gehört. Dort lebt Aeffner, der zwei erwachsene Kinder und eine Enkelin hat, mit einer heutigen Lebensgefährtin im Wohnwagen und hält Hühner. Zusätzlich hat er ein Apartment angemietet, wo er Massage-Zubehör wie Handtücher und Öle lagert.
Die Ausbildung zum Tantra-Masseur, die mit einer Prüfung endet, aber nicht staatlich anerkannt ist, hat Aeffner in Essen absolviert. „Tantra-Massage ist eine sinnliche Ganzkörper-Behandlung von den Fußsohlen bis zum Scheitel, von zart bis kratzig, die auch den Intimbereich nicht ausschließt, natürlich alles nach vorheriger Absprache“, erklärt Aeffner, der seine Dienstleistungen für alle Geschlechter anbietet, aber überwiegend von Frauen gebucht wird.
Bei der Tantra-Massage sind die Rollen klar verteilt
„Tantra-Massage bedeutet, dass beide nackt, aber die Rollen klar verteilt sind. Der Masseur ist aktiv, der Kunde oder die Kundin passiv. Geschlechtsverkehr ist, im Gegensatz zur Sexualbegleitung, tabu. Ein Orgasmus ist bei der Tantra-Massage nicht angestrebt, aber willkommen“, beschreibt er seine Tätigkeit. Seine Lebensgefährtin akzeptiere seinen Job, weil er Teil seiner Persönlichkeit sei. Auch seine Kinder wüssten über seine Arbeit Bescheid. Für andere Dinge bleibe genug Zeit: Er bediene nur eine Klientin am Tag und höchstens drei pro Woche.
Wie oft er gebucht werde, hänge von den Bedürfnissen der Kundinnen, aber auch von deren finanziellen Möglichkeiten ab, denn Sexualbegleitung muss privat bezahlt werden. Aeffner arbeitet mobil, besucht Menschen zu Hause, im Hotel oder empfängt sie in seinem Studio. Bezahlt wird nach Zeit: Pro Stunde nimmt er 100 Euro, eine Sitzung umfasst in der Regel zwei Stunden, das obligatorische Vorgespräch zur Abklärung von Erwartungen und Grenzen ist im Preis inbegriffen. Je nach Anfahrtsweg wird eine Kilometerpauschale fällig.
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Sexualbegleitung ist eine Dienstleistung. Gegen Geld bekommen Klientinnen und Klienten Intimität – und oft auch mehr Selbstbewusstsein.
Von Laura Patz (Medizinredakteurin), 19.03.2025

Thomas Aeffner ist einer der wenigen männlichen Sexualbegleiter in Deutschland. Als Dienstleistung macht er vom Händchenhalten über Massagen bis zum Geschlechtsverkehr fast alles, was sich seine Klientinnen wünschen. Dazu gehören zum Beispiel Frauen, die nur begrenzt Möglichkeiten haben, einen Sexualpartner zu finden. Mittlerweile bildet er auch andere Menschen zu Sexualbegleiterinnen und -Begleitern aus.
Herr Aeffner, was macht einen guten Sexualbegleiter aus?
Thomas Aeffner: Man muss natürlich zuerst mal sexpositiv eingestellt sein und Empathie mitbringen. Die Hauptvoraussetzung für den Job ist, dass man sich auf andere Menschen einlassen kann, dass man selbst in seiner Persönlichkeit und vor allem in seiner Sexualität gesichert ist. Denn Sexualbegleiterinnen und -begleiter sollten nie für sich selbst auf der Suche sein. Sexualbegleitung ist etwas, das wir für andere Menschen tun.
Was lernt man in der Ausbildung zum Sexualbegleiter beziehungsweise zur Sexualbegleiterin?
Aeffner: Dass angehende Sexualbegleiter wissen, wie man Geschlechtsverkehr hat, davon gehen wir aus. Es geht in der Ausbildung um andere Dinge. Zum Beispiel setzt man sich mit dem Helfersyndrom auseinander. Für viele soziale Berufe ist es wichtig, zu beobachten, ob man vor lauter Hilfe für andere seine eigenen Grenzen nicht verwässert oder dass man nicht etwas zu seinem eigenen Nutzen tut und nur vorgibt, es sei für den anderen.Wir lehren außerdem Pädagogik, speziell Erlebnispädagogik und geben unseren Schülerinnen und Schülern besonders achtsame Berührungsarten an die Hand. Es geht aber auch viel um Konsens.
Konsens
Sex ohne Konsens ist Missbrauch. Sexualbegleiterinnen und Sexualbegleiter werden nur mit dem expliziten Auftrag ihrer Klientinnen und Klienten tätig. Indem sich ein Sexualbegleiter ausdrücklich das Einverständnis seiner Klientin holt, geht er damit sicher, dass sie will, dass die beiden bestimmte Dinge tun. Auch Menschen, die nicht sprechen können, können auf Nachfrage ihr Einverständnis geben, etwa durch Laute oder Gebärden.
Einen staatlich anerkannten Abschluss in Sexualbegleitung gibt es nicht. Wie finden potenzielle Klientinnen und Klienten eine gute Sexualbegleitung?
Aeffner: Auch wenn nicht staatlich anerkannt – wenn jemand auf irgendeine Weise belegen kann, sich zu dem Thema fortgebildet zu haben, ist das schon mal ein guter Anhaltspunkt. Die Person hat ja Geld und Zeit darin investiert. Ich habe mich auch bemüht, meinen Internetauftritt so zu gestalten, dass er eine Mischung aus Professionalität, aber auch Erotik trifft. Auch ein telefonisches oder schriftliches Vorgespräch über Grundsätzliches kann bei der Entscheidung helfen. Schließlich gibt es noch ein Kennenlerngespräch, bevor irgendwelche Handlungen beginnen können.
Wie sollte so ein Gespräch ablaufen?
Aeffner: Wenn das geht, kann man das in Person bei einem Kaffee führen. Klientinnen können sich zum Beispiel eine Vertrauensperson mitbringen. Bei so einem Gespräch bekommt man ja auch einen guten ersten Eindruck voneinander. Zum Beispiel auch vom Aussehen oder der Stimme des Sexualbegleiters oder der Sexualbegleiterin.
Und dann?
Aeffner: Dann kann man ohne Vertrauensperson weitersprechen – auch über Intimeres, über Wünsche und Grenzen. So geschieht nichts ohne klaren Auftrag wie „Ich möchte gerne mit dir nackt im Bett liegen“ oder „Ich möchte gerne Geschlechtsverkehr“.
Was möchten denn Ihre Klientinnen?
Aeffner: Die meisten wollen Geschlechtsverkehr. Meine Kolleginnen erzählen mir, dass es bei ihren männlichen Klienten oft anders ist. Viele haben Probleme mit der Libido oder Erektionsstörungen und wünschen sich vor allem Nähe, Hautkontakt, Berührungen, den nackten Körper zu betrachten, gehalten zu werden. Das alles möchten die Frauen auch, aber ich werde oft direkt im Vorgespräch gefragt, ob auch Geschlechtsverkehr möglich sei.
Wer gehört zu Ihren Klientinnen?
Aeffner: Das sind oft Frauen, die lange keinen Sex hatten oder sogar noch nie im Leben. Die wollen nicht von der Erde gehen, ohne das einmal erlebt zu haben. Zu mir kommen aber auch Frauen, die eine Behinderung haben, und Frauen, die körperlich missbraucht wurden. Da holt man nach und nach die sexuelle Körperlichkeit wieder zurück. Da kann es sein, dass es erstmal reicht, zwanzig Minuten nebeneinander auf der Couch zu sitzen oder Händchen zu halten. Es geht darum zu lernen, wieder Nähe zuzulassen.
Manchmal werden Sie auch in Pflegeeinrichtungen gerufen …
Aeffner: Ja, dann meldet sich die Pflegeleitung bei mir, weil eine Bewohnerin zum Beispiel auffällig war. Vielleicht zeigt sie sexualisiertes Verhalten vor versammelter Mannschaft im Fernsehraum oder verletzt sich beim Masturbieren. Die Vermutung liegt dann nahe, dass dahinter sexuelle Frustration stecken könnte.
Was machen Sie dann bei einem Besuch in der Einrichtung?
Aeffner: Ich schaue in erster Linie, ob die Person auf mich reagiert. Wenn sie kein Interesse an mir zeigt, kann ich nicht tätig werden. Andernfalls können wir miteinander arbeiten, Sex erleben. Das Schöne ist: Wenn diese Klientin merkt, da ist jemand für mich da, der auf meine Wünsche eingeht, wenn ich Sex will, zeigen sich schnell Verbesserungen im Verhalten dieser Bewohnerinnen. Und sie versteht dann auch, selbst wenn sie geistig eingeschränkt ist: Dafür ist Thomas da. Die sexuellen Wünsche übertragen diese Personen dann nicht mehr auf alle möglichen Menschen in ihrem Umfeld.
"Liebeskummer kann eine Chance zum persönlichen Wachstum sein."
Thomas Aeffner, Sexualbegleiter
Ein wichtiger Teil der Sexualbegleitung ist „Empowerment“. Was bedeutet das?
Aeffner: Es geht nicht nur um die reine sexuelle Dienstleistung, sondern auch darum, meine Klientinnen zu bestärken, dass sie es wert sind, dass man ihnen körperliche Zuneigung schenkt. Eine Frau hat mir mal eine Anfrage mit Bild von sich geschickt. Als ich ihr geschrieben habe, dass wir uns gerne treffen können, war sie überrascht. Sie fühlte sich hässlich und hatte nicht mit einer positiven Rückmeldung gerechnet. Das geht vielen Menschen mit Behinderung so. Aber auch den anderen, die mit Schönheitsidealen und Altersbildern konfrontiert sind. Ich versuche dann zu vermitteln: Wir sind Individuen und das ist es, was das Leben interessant macht. Die oben genannte Klientin ist inzwischen eine selbstbewusste junge Frau geworden, Künstlerin und Aktivistin.
Was, wenn sich Klientinnen, die sie regelmäßig treffen, in Sie verlieben würden?
Aeffner: Das kommt tatsächlich schon vor. An sich mache ich aber schon bei den Erstgesprächen klar, dass es immer nur bei der bezahlten Dienstleistung bleibt. „Ich werde nie dein Freund sein und ich möchte auch nicht zum Geburtstag oder zu Familienfeiern eingeladen werden“, sage ich. Nachrichten zwischen den Treffen tausche ich mit meinen Klientinnen nur zur Terminabsprache aus. Ich sage den Klientinnen auch, wenn sie sich verlieben, müssen sie sich damit abfinden, dass das eine einseitige Verliebtheit ist. Ich nehme das also zur Kenntnis, biete auch emotionale Unterstützung an, bleibe aber immer im professionellen Rahmen. Liebeskummer kann sogar eine Chance zum persönlichen Wachstum sein.
Rechtlich gilt Sexualbegleitung als Prostitution. Ist das gerechtfertigt?
Aeffner: Es ist richtig, dass wir genauso Geld auch für sexuelle Leistungen bekommen. Ohne mich über Kolleginnen und Kollegen, die andere Formen der Sexarbeit leisten, erheben zu wollen, sehe ich aber klar einen Unterschied zur Prostitution. Denn bei uns geht es ja eben nicht nur darum, sexuelle Wünsche zu erfüllen, sondern auch um das Empowerment. Auch wenn das für Klientinnen nicht immer offensichtlich ist, hat meine Arbeit einen großen pädagogischen Aspekt, den es in der Prostitution so nicht gibt.
Zwei Stunden mit Ihnen als Sexualbegleiter kosten 200 Euro. Können sich das denn alle leisten?
Aeffner: Natürlich können sich das nicht alle leisten, auch wenn ich mich mit diesem Preis noch am unteren Ende der Skala befinde. Es ist aber schön zu sehen, dass oft auch Angehörige meiner Klientinnen merken, dass ihren Lieben die Treffen mit Thomas gut tun. Nach Weihnachten zum Beispiel melden sich dann wieder mehr Frauen, weil vielleicht ein Schein unterm Tannenbaum lag.
Gibt es keine Möglichkeit, Sexualbegleitung finanziert zu bekommen?
Aeffner: Leider nicht, aber ich fände das wichtig. Unsere Sexualität ausleben zu können, ist nicht nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen, sondern ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht. Aber auch eine mögliche Finanzierung durch die Krankenkasse sehen manche meiner Klientinnen skeptisch. Sie wollen nicht zum Arzt gehen und sich „Sex verordnen“ lassen. Meiner Meinung nach sollte Sexualbegleitung in dem Bedürfniskatalog eines festen Budgets verankert sein.
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